Samstag, 20. Mai 2017

Kurz vor der Weiterfahrt nach Santa Clara. Der Bus fährt um sieben Uhr abends ab. Jetzt ist es halb sechs. Antonio will uns ein Taxi besorgen. Zum Laufen haben wir zu viel Gepäck. Es gibt schon wieder viel nachzutragen. Die Zeit hier war voll kleiner Erlebnisse und Begegnungen.

Der tropische Regen kam gestern wieder und es war wieder ein Ereignis. Diesmal überraschte er uns in der Galeria Taller auf der Álvarez Straße am Nordufer des San Juan Flusses, nicht weit von einer Musikhochschule, einer Druckerei und dem Feuerwehrmuseum. Man erkennt die Werkstatt an einer Gruppe von überlebensgroßen Skulpturen, die gleich gegenüber am Ufer entlang die Promenade zieren.

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Auf die Keramikwerkstatt und auf Manuel, einen ihrer Gründer, hatte uns wiederum Tanya Abraham aufmerksam gemacht, die mit Manuel seit ihrer Kindheit bekannt ist. Manuel war früher ein erfolgreicher Regimekarikaturist. Heute lebt er von Keramik.

Der ehemalige Karikaturist Manuel zeigt Miriam seine selbstgemachten Pinsel.

Der ehemalige Karikaturist Manuel zeigt Miriam seine selbstgemachten Pinsel.

Die Werkstatt ist vor allem den Bemühungen des Bildhauers Osmany Betancourt Falcón, besser bekannt als „Lolo“, zu verdanken, der nach und nach das Gebäude, in dem sie arbeiten, ausbilden und ausstellen, ausgebaut hat. Wir konnten uns von der abenteuerlichen Blechdachkonstruktion ein eigenes Bild machen, als der tropische Nachmittagsregen wieder losbrach. Wir waren gerade dabei, unsere ersten keramischen Gehversuche zu unternehmen. Trotz des hier und dort heruntertropfenden Regens unterbrachen weder die Meister noch ihre Schüler die Arbeit. Unsere Unterhaltung plätscherte munter weiter. Irgendwann hörte es wieder auf und wir setzten unsere Runde fort.

Lolo Betancour und seine Kollegen auf einem "Narrenschiff."

Lolo Betancourt und seine Kollegen auf einem “Narrenschiff.”

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Am Vormittag hatte uns Antonio in der Herberge abgeholt. Ursprünglich sollte es eine Probe seiner Musikgruppe geben, die eine Tanzvorstellung des Balletts begleitet, mit dem er regelmäßig arbeitet. Das Programm war inzwischen kurzfristig geändert worden. Seine Gruppe spielte nicht, aber das Ballett tanzte zwei Stücke für eine Gruppe von Kirchenleuten aus Kanada. Ziel ihrer Reise war es, Gruppen zu unterstützen, die sich für LGBTQ Menschen engagieren. Das erste Stück war konventionell, eine typisch zeitgenössische Choreographie zum Thema Kommunikation. Ich fand es kompetent und schön. Miriam war weniger überzeugt. Neben mir saß eine kleingewachsene Dame, Kubanerin, von der ich zuvor bemerkt hatte, dass sie der Übersetzerin kritisch zugehört hatte, als diese dem Publikum das Konzept der bekannten Choreographin erklärte. Ich fragte sie nun, wie sie das Stück fand. Sie sagte, „I love dance. But please don’t ask me that.“ Mit anderen Worten: Frag mich bloß nicht. Später sprachen wir noch eine Weile. Die Dame arbeitet als Reisefachfrau in Havanna und sie hatte diese Gruppenreise organisiert. Wir sollten uns gerne mit ihr in Verbindung setzen, wenn wir wieder dort sind.

Das zweite Stück stellte spielerisch die Erfahrung der Truppe auf einer Frankreichreise dar. Es hatte viel Humor und verband Elemente von sprachlichem und mimischem Witz mit kritischen Beobachtungen, vor allem zur sexuellen Objektivierung des jungen dunkelhäutigen Mannes aus Sicht westlicher, hellhäutiger Frauen.  IMG_4426 IMG_4427 IMG_4430 IMG_4431 IMG_4432

 

Eine politische Pointe gab es auch. Anfangs, aus Kuba ankommend, trugen die Tänzer Binden über den Augen, wie man sie auf Reisen gebraucht, um ungestört schlafen zu können. Am Ende, die Rückreise darstellend, trugen sie Sonnenbrillen. In beiden Fällen waren sie blind und hilflos auf einander angewiesen. Außergewöhnlich auch, dass in diesem Fall die Choreographin, eine beleibte Dame um die Sechzig, selbst eine Hauptrolle tanzte. Von Marc Morris und Bill T. Jones ist man das gewöhnt. Von Frauen fortgeschrittenen Alters weniger.

Den Höhepunkt der beiden Tage in Matanzas bildeten die Perkussionsstunden mit Antonio und dessen Cousin Yasmino im Hause seiner Mutter, Sra. Ana. Diese war, wie wir erst beim Abschied erfuhren, Mitglied des weltberühmten und Grammy-preisgekrönten Ensembles Los Muñequitos de Matanzas. Erst gestern erhielt sie erneut eine Auszeichnung vom kubanischen Staat. Das Haus der Dame ist reichhaltig mit Heiligenfiguren, Altären und Symbolen der Santeria ausgestattet. Antonio und sein Cousin sind Babalaos, Priester der Santeria. Die Bata Trommeln sind heilige Instrumente. Die Rhythmen rufen nicht nur bestimmte Götter an sondern erzeugen Chango. Die Trommeln sind sein Kopf (Iya), seine Arme (Itotele), und sein Körper (Ommele) und die genau festgelegten Klangmuster flößen ihm das Leben ein. Musik als theurgische Magie. Gestern hatte ich meine erste Stunde. Heute morgen die zweite und einstweilen letzte.

Sra. Ana mit ihrem Grammy.

Sra. Ana mit ihrem Grammy.

Unser erstes Treffen dauerte ungefähr neunzig Minuten, aber ich hatte kein Gefühl vom Verlauf der Zeit. Antonio begann mit einer allgemeinen Einleitung in die Mythologie der Yoruba-Religion, die Götter Westafrikas und deren Beziehung zur antiken Mythologie und der Welt der katholischen Heiligenfiguren mit denen die Orishas identifiziert werden. Die komplizierten Polyrhythmen prägen sich nicht leicht ein. Bis zum Abend hatte ich alles wieder vergessen. Am nächsten Morgen fiel mir das eine oder andere wieder ein und ich kam mir bei der zweiten Stunde nicht mehr ganz so dumm vor.

Antonio, der sich bis zu unserer Abreise sehr um uns kümmerte, gab uns eine Empfehlung an seinen Lehrer in Santiago mit. Dort soll mein Unterricht in foundation drumming weitergehen. Zunächst aber geht es nach Santa Clara, zum Verschnaufen, Innehalten, to catch our breaths.

One Comment

trunnion ball valve posted on August 26, 2022 at 2:20 am

Samstag, 20. Mai 2017 | Michael Zank1661494825

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