Derselbe Mond lächelt über den flachen Dächern von La Habana, der uns auf unserer Indienreise begleitet hatte. Oben links etwas abgeflacht (abnehmender Mond), lächelt er uns von oben – Urbild der heiteren Götter – zu, man möchte sagen, er zwinkert und macht sich ein wenig über uns lustig, die wir versuchen, ein wenig mehr von der Welt zu sehen, auf die er seit undenklichen Zeiten gleichmütig herabsieht. Wir hingegen, denen nur wenig Zeit zugemessen ist und die wir uns daher bemühen, dem flüchtigen Moment Dauer zu verleihen, schreiben und fotografieren. Manchmal schreiben wir Postkarten oder setzen uns im Angesicht unserer „Gesichtsbuchfreunde“ ins Rampenlicht bildender Reisen. Wir sehen die Welt. Für euch zuhause gibt’s die Bilder. Die Gleichzeitigkeit der Bilder aus Indien waren ein Freundesdienst. Das brachten die Zeiten so mit sich. Da Kuba immer noch nicht übermäßig vernetzt ist und von Gleichzeitigkeit nicht die Rede sein kann, schreibe ich meine Eindrücke in den Schoßrechner. Ein richtiges Buch aus Papier habe ich auch. Das kam schon in Indien gelegentlich zum Einsatz, z. B. nachdem ich meinen Compi bei der Flughafensicherung in Mumbai liegen gelassen hatte.
Drei Monate Indien, davon einen guten Teil in Kerala, ein wenig Rajasthan, dann – von Delhi aus – nach Ladakh. Drei Wochen in der Nähe von Leh, dann ein paar Tage Mussorie und von Delhi aus nach Hause. Die kluge Entscheidung lag darin, dass man nicht alles gesehen haben muss. Wenn es einem wo gut geht, kann man auch dort eine Weile bleiben oder sogar dorthin zurückkehren, obwohl es das nächste Mal vielleicht ein wenig anders ist. Wie wird es uns in Kuba ergehen? Noch lächelt der Mond.
Ich sitze auf einem hell erleuchteten Balkon mit Blick nach Süden zur gelegentlich laut werdenden Straße hin, Via Nettuno im leicht post-apokalyptischen Zentrum von Havanna. Hier ist viel zerfallen und wenig renoviert, die einfallsreiche Bausubstanz des einstigen aufstrebenden Bürgertums nach der großen Umverteilung inkongruent genutzt. Gegenüber ist auch noch Licht, auch dort eine casa particular. Unten, auf Straßenhöhe, sind noch ein paar Höfe offen. Leute sitzen um einen Tisch oder bedienen die 24-Stunden geöffnete Brotbäckerei. Jugendliche gehen um diese Stunde offensichtlich noch aus. Die werden von jenen vielgerühmten alten Karossen abgeholt und irgendwohin gefahren, wo noch etwas los ist. Manche können sich das leisten. Frisch verputzte Wohnungen stechen hervor. Hier wohnen Touristen und jene Kubaner die, unterstützt von Familienmitgliedern im Ausland, eine neue Mittelschicht bilden. Spürbar die Verwunderung der weiterhin Mittellosen. Das Ende des Elends ist für viele nicht abzusehen. Die Leute auf der Straße sind nicht unbedingt auf unsere Anwesenheit erpicht. Man fühlt sich zunächst bloß wie ein Störfaktor oder bestenfalls wie ein wandernder Dollarschein.
Wir haben Adressen mitgebracht. Später am selben Tag fangen wir damit an, die Stadt zu erlaufen, Verabredungen zu treffen und Pläne zu machen. Wir haben fast sieben Wochen hier in Kuba. Mein Spanisch ist schwach, Miriams gut. Ihr Hauptziel auf dieser Reise: sich sprachlich zu verbessern. Die Leute sprechen wenig Englisch. Mit der Zeit treffen wir auf Ausnahmen von dieser Regel. Kuba öffnet sich.