Bei Rolli und Abel in Cotorro. Wolkenbruch in Matanzas

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Antonio Gonzales, his aunt and cousin, in Matanzas.

Es ist mittlerweile Freitag, der neunzehnte Mai. Wir sind seit gestern in Matanzas, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz. Wir kamen gestern kurz nach Mittag mit dem Bus hier an. Ein junger dunkelhäutiger Mann mit buckteeth und Sonnenbrille sprach uns an, als wir aus dem Bus stiegen. „Are you Lisa’s friends?“ Ich sagte nein und begab mich auf die Suche nach unserem Gepäck, drei Rucksäcken, die unter etlichen Koffern im Gepäckraum des Busses (made in China) begraben waren. Nachdem wir sie endlich gefunden und herausgezogen hatten, entpuppte sich der junge Mann mit den hervorstehenden Zähnen als Antonio. Er hatte die Namen verwechselt. Und wir hatten uns einen älteren Menschen vorgestellt, nicht jemand Mitte Zwanzig. Er fand uns ein Taxi und fuhr mit zur Herberge, die er für uns gefunden hatte. Die casa particular von Manolo, in der wir ursprünglich absteigen wollten, sei inzwischen schon besetzt gewesen. Als wir bei Louisa Carmen in der Altstadt (Calle 75) ankamen und die Rucksäcke vom Dach des kleinen Fahrzeugs holten bemerkte Miriam, dass am großen Rucksack der Hüftgürtel fehlte. Das war früher schon einmal passiert und bisher waren wir vorsichtig genug gewesen, ihn vor der Gepäckabgabe abzunehmen und sicher zu verstauen. Diesmal hatten wir es vergessen. Miriam fuhr sofort mit Antonio und dem Taxi zurück zum Busbahnhof. Der Bus war zwar schon abgefahren, aber die zuvor etwas ruppige Dame am Schalter erwies sich als hilfreich. Sie rief den Busfahrer an und riet Miriam später wieder vorbeizukommen, da der Bus entweder um drei, fünf oder sieben wieder aus Varadero zurück erwartet werde. Der Gürtel sei gefunden worden und sie könne ihn sich am Schalter abholen. Dies erzählte sie mir als sie von der Aufregung erschöpft in die Herberge zurückkam. Wir plauderten dann noch ein wenig mit Antonio und verabredeten uns für den nächsten Morgen. Dann duschten wir uns und ruhten uns aus. Später rief Miriam bei der Bushaltestelle an und wir gingen schließlich gegen sechs los, um den Sieben-Uhr Bus zu treffen. Wir schafften es auch. Der Bus fuhr ein. Der Fahrer händigte uns den Gürtel aus und wir machten uns glücklich und zufrieden auf den Rückweg. Wir hatten es nun nicht mehr so eilig. In einem Hauseingang bewunderte Miriam einen bunten hausgemachten Fußabstreifer und machte ein Foto davon. Die junge Frau des Hauses wurde neugierig. Miriam fragte, wo diese originelle Handarbeit herkam und die Hausfrau verwies uns auf eine Nachbarin gegenüber. Wir sollten nur an die Haustür klopfen. Anfangs gab es dort keine Reaktion aber die Dame gestikulierte, wir sollten stärker klopfen, die sei schon da. So klopften wir noch einmal. Diesmal öffnete eine ältere untersetzte dunkelhäutige Frau mit hochgesteckten Haaren das Tor. Miriam fragte sie, ob sie noch solche Fußabstreifer habe, wie wir sie gegenüber gesehen hatten. Sie meinte, sie habe keine auf Lager und wie viele wir denn wollten. Miriam sagte, nur einen. Sie meinte, bis Sonntag könne sie uns einen machen. Als Miriam ihr mitteilte, dass wir nur bis Samstag in der Stadt seien, meinte sie, sie könne auch bis Samstag einen Abstreifer für uns anfertigen. So kamen wir ins Geschäft und gingen vergnügt weiter. An der nächsten Cafeteria machten wir halt und bestellten einen Saft. Dann fing es ernsthaft an zu regnen.

Der Regen verwandelte sich in einen Wolkenbruch. Nach kurzer Zeit war die Straße überschwemmt. Fahrzeuge blieben stecken und wir beschlossen, auf unserer kleinen Insel das Ende dieses tropischen Wetterereignisses abzuwarten.

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Nach einer Weile kaufte ich eine kleine Flasche „Havana Club“, was die mit uns wartenden kubanischen Männer (zwei junge und ein älterer) amüsierte. Ich bot ihnen einen Schluck an, aber sie lehnten dankend ab. Miriam hielt mich für unmöglich. Aber der Sache fehlte es nicht an Humor. Wie vertreibt man sich sonst die Zeit auf der Arche Noah? Nach einer Weile hörte es auf zu regnen. Das Flutwasser floss immer noch, aber wir zogen einfach die Sandalen aus und gingen barfuß, wie andere Leute auch. So kamen wir wieder in unseren Stadtteil zurück. Inzwischen war es spät geworden. Wir hatten am frühen Nachmittag noch am Stadtplatz in der Nähe von Louisa Carmens Herberge im San Severin etwas gegessen. Dort wollten wir nicht schon wieder hin, aber alles andere schien uns reizlos und Il Fettucine, das einzige andere uns empfohlene Restaurant war geschlossen. So begnügten wir uns mit ein paar trockenen Brötchen, die wir in einer Bäckerei erstanden. Zum Tagebuch Schreiben in der Herberge gab es noch etwas von der mitgebrachten Schokolade und Rum.

Hier schalte ich vielleicht besser noch einen Nachtrag ein, bevor ich es vergesse. Am Mittwoch waren wir in Havanna von der Infanta aus mit einem Collectivo nach Cotorro gefahren um Rolando und Abel zu besuchen. Wir hatten die Adresse dieses Künstler- und Lebenspaares von Tanya Abraham, deren Mutter Millie eng mit dem fünfundsechzigjährigen „Rolli“ befreundet ist. Abel ist Mitte Vierzig. Cotorro ist eine Vorstadt von Havanna. Die Häuser sind dort viel niedriger und es gibt Bäume und Gärten. Das Taxi setzte uns gegenüber der Polizeistation ab. Um zu Rolando und Abel zu gelangen, mussten wir eine Eisenbahntrasse überqueren. Die Schwellen waren überwuchert. Wie uns einer der drei etwas anrüchigen Mitfahrer im Taxi mitgeteilt hatte, sei man verlassen, wenn man sich auf die Züge in Kuba verließ.

Rolando und Abel’s Haus ist eine kleine Oase. Die Inneneinrichtung geschmackvoll und zum Teil von Abel selbst gemacht oder wieder hergestellt, der Garten voll tropischer Blüten und üppigem Grün. Sie teilen das Haus mit einer über neunzigjährigen Tante, die bettlägerig und pflegebedürftig, geistig aber noch völlig fit ist. Unser Besuch dehnte sich über mehrere Stunden aus. Wir sprachen über alles und nichts, vor allem aber über das Leben in Kuba und über die Arbeiten der beiden Männer, die sich auf die Produktion von Papiermaché-Puppen und Dekorationen spezialisiert haben. Eine Nachbarin hilft bei der Herstellung der Kostüme. Die meisten Arbeiten entstehen im Auftrag von Hotels, tragen also zur staatlichen Tourismusindustrie bei. Daneben gibt es Aufträge aus Mexico und Handarbeitsausstellungen, bei denen die beiden in der Regel gut verkaufen. Nur in den Vereinigten Staaten gab es bislang Verlustgeschäfte, z. T. hauptsächlich aufgrund von Organisations- und Visaproblemen. Ein großer Teil ihres Inventars sitzt z. Zt. unverkauft in einem Lager in Florida bei Rolandos Schwester.

Als Abel sich in der Küche zu schaffen machte, führte uns Rolando in seine Werkstatt und zeigte uns auf dem Computer Fotos von fertigen Arbeiten der beiden. Rollis Spezialität sind berühmte Figuren wie Charlie Chaplin, Don Quixote und, für den mexikanischen Markt, Frieda Kahlo. Weshalb nicht auch Ikonen der kubanischen Revolution wie Fidel Castro oder Commandante Ché, fragte ich naiv? Das sei politische Kunst, davon halten sie sich fern. Andererseits sehen manche eine Ähnlichkeit zwischen Fidel und Rollis Don Quixote. Angefangen hat er mit diesen Figuren fürs Puppentheater. Abel ist ausgebildeter Tänzer. Im Nachhinein fiel mir eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Rolli auf Bildern von früher, mit schwarzen Haaren, und seinem Chaplin auf.

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Miriam wollte wissen, was für Material wir für sie aus den USA besorgen könnten. Was ihnen vor allem fehlt ist der Lack, den man auf dem Markt z. Zt. nicht finde und der als brennbares Material nicht eingeführt werden dürfe. Sie beklagten sich aber nicht. Sie erklärten nur.

Wir aßen gemeinsam ein spätes Mittagessen. Reis mit Huhn, grüne Bohnen und Salat. Abel gab uns sein Geheimrezept für die typisch kubanischen schwarzen Bohnen (moros). Es war uns etwas peinlich hier zu essen, nachdem wir soviel über die schlechte Versorgungslage und den oft absurden Mangel an Grundnahrungsmitteln wie z. B. Kartoffeln gehört hatten. Wie zur Begrüßung gab es zum Abschied noch einmal einen Kaffee. An der Bushaltestelle in der Nähe der Polizeistation fanden wir ein collectivo zurück nach La Habana. Diesmal war es ein Jeep.

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