[Sonntag 4. Juni, La Boca bei Trinidad, Santo Spiritus]
Letzten Dienstag fuhren wir nach Trinidad. Dort war unser Sohn mit seinem Patenonkel Tomás Anfang Januar gewesen. Sie fanden damals fast keinen Raum in einer der vielen Herbergen In der Nebensaison hatten wir keinerlei Schwierigkeiten dieserart. Unsere von Katya empfohlene Herbergsmutter Theresa, eine gestrenge Hausherrin, holte uns vom Busbahnhof ab. Sie hatte einen Träger mit Karre angeheuert, auf unsere Kosten, die er uns erst bei der Ankunft mitteilte. Zu teuer, wie wir fanden. Erst später wurde uns klar, dass in Trinidad alles etwas teurer ist als sonstwo. Die Stadt lebt vom Tourismus.
Theresa und Rodolfo, ein fast erblindeter aber stolzer und aktiver ehemaliger Tierarzt, leben in einem alten kolonialen Anwesen auf der Piro Guinart, eine der Hauptdurchgangsstraßen, ganz in der Nähe des Viazul Bahnhofs und nur Schritte von der Kopfstein gepflasterten Altstadt. Dieses von der UNESCO anerkannte Weltkulturerbe hatte das Glück, dass der Aufschwung des Landes, der auf den Unabhängigkeitskrieg folgte, an ihm vorbei ging. So blieb die koloniale Architektur erhalten. Lange vernachlässigt, wurde Trinidad zur ersten Tourismusmonopole der speziellen Ära, die auf den Zusammenbruch der Sowjetunion folgte. Die heute nur müde drei bis vier Sterne aufweisenden Ressorthotels entlang der Landzunge von Ancon waren der erste Versuch des Landes, mit den schon lange etablierten Zentren des internationalen Karibiktourismus zu konkurrieren. Wenn im wesentlich eleganteren und bekannteren Varadero heute die Strände von Orkanen weg gespült werden, wird der weiße Sand aus Ancon dorthin gekarrt, wo er nötiger gebraucht wird. Varadero hat sonst nichts Trinidad Vergleichbares aufzubieten. Weitere Attraktionen: Topes de Collantes, ein touristisch erschlossenes Wandergebiet in der Sierra del Escambray und die ehemalige Goldmine Kubas, will sagen, was von der Zuckerrohrproduktion noch übrig ist und einem in einem Tal östlich von Trinidad beispielhaft und touristisch erschlossen vorgeführt wird. Ebenso interessant, aber nicht touristisch entschlossen, ist die Tatsache, dass in den vielen natürlichen Erdhöhlen des karstigen Mittelgebirges geheime Waffen- und Munitionslager der kubanischen Armee untergebracht sind. Weshalb wir das wissen, darf ich leider nicht sagen. Ein Bekannter aus Trinidad hat es uns erzählt, der seine Wehrpflicht gleich hier in der Nähe damit verbracht hat, auf diese Waffenlager aufzupassen. Will sagen, er hat sein Pflichtjahr damit verbracht, so viel wie möglich heimlich zu lesen.
Nach zwei heißen Nächten in Trinidad wechselten wir nach La Boca, einer alten Fischersiedlung, heute ein proletarischer Badeort für einheimische Familien, die ab Freitag Abend Trinidad den Rücken kehren und so viel Zeit wie möglich am Strand verbringen. Wir hatten uns in Trinidad Fahrräder ausgeliehen und waren nach La Boca geradelt, auf der Suche nach möglichen casas particulares, von denen es hier etliche gibt, auf der Suche nach Badestränden und um Korallenbänke zu betauchen. Wir fanden alles ohne Probleme. Erst badeten wir direkt am Ort, dann radelten wir weiter bis La Batea. Dort liehen wir Flossen, Tauchermasken und Schnorchel aus und verbrachten mehrere Stunden in der Korallenlandschaft direkt am Ufer der Karibik, die einen atemberaubenden Artenreichtum von tropischen Fischen und Seeigeln bereithielt. Wir bekamen dort auch etwas zu essen und beobachteten später wie eine Gruppe von jungen neureichen Kubanern stark angetrunken mit ihren Bierflaschen im Wasser herumstolperten. Sie fragten uns, ob es sich lohne, hier zu tauchen. Bei unserem ersten Treffen mit unserem neuen trinitarischen Freund hatte er von diesem Phänomen gesprochen. Das Erziehungswesen gehe aufgrund der Unterbezahlung der Lehrer kaputt. Die junge Generation habe keine Achtung vor ihren Lehrern. Jeder mag nur an sich raffen, was er kann. Für Politik interessiere sich niemand. Eine konsumsüchtige Generation, die wenig zu konsumieren findet und umso großkotziger mit dem auftrumpft, was sie hat. Genauso schien es mir. Miriam war anderer Ansicht. Sie hatte Sympathie für die Leute und kam mit ihnen ins Gespräch. Sie seien eigentlich ganz nett.
Am nächsten Tag zogen wir nach La Boca um. Von Trinidad hatten wir irgendwie genug gesehen, obwohl wir eigentlich nichts gesehen hatten. Wir hatten eine Unterkunft gefunden, die uns gefiel, obwohl der junge, gut Englisch sprechende Hausherr arrogant und unangenehm wirkte. Die Angestellte war umso netter. Von der Familie hatte sonst niemand besonders mit uns zu tun. Am Tag unserer Ankunft hatte die zweijährige Tochter Geburtstag. Es gab einen Riesenkuchen und Besuch. Wir waren nicht eingeladen. Vom Kuchen war nachher nichts mehr übrig. Das Zimmer war groß, privat im Obergeschoß mit Balkon nach vorne und hinten. Insofern nicht schlecht. Teuer war es auch und es schien uns im Nachhinein, dass die Familie die Wohnung nur deshalb an Gäste vermietet, weil sie sich dadurch eine Haushaltshilfe erlauben konnte. Die ganze Sache war irgendwie undurchsichtig. Ich war den nächsten Tag krank und blieb im Bett. Den Abend zuvor hatte ich lange an meinem Jerusalembuch herumkorrigiert und dabei zu viel Rum getrunken. Miriam musste alleine schnorcheln.
Gestern wurden wir dann von unserem neuen Freund und einem Fahrer, den er organisiert hatte, abgeholt, um in den Topes de Collantes zu wandern. Sie halfen uns zunächst beim Umzug in eine andere Herberge in La Boca. Danach ging’s hinauf in die Berge. Dort gefiel es uns wie erwartet gut. Wir hatten vorher schon im Internet nach Unterkunft in den Bergen gesucht. Auf dem Weg sahen wir den üblichen blauen Anker und hielten an, um uns die Bleibe anzusehen. Ein bisschen muffig, aber erschwinglich und direkt in den Bergen. Vielleicht nächstes Mal.
Der erste Teil des Parks (Guanayara) war zwar nicht besonders aufregend aber trotzdem lehrreich. Die Kaffeeplantagen erinnerten uns an Kerala. Ebenso wie die hier überall reifenden Mangos kamen der Kaffee, die Bananen, die man, bis die Touristen kamen, nur platanos genannt hatte, und wer weiß was noch für Pflanzen und Tiere von anderswo. Die menschlichen Ureinwohner, die auch von anderswo gekommen waren, hielten in kleinen Gruppen in den Wäldern nahe Baracoa noch bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts aus, dann vermischten sich die Reste mit wem auch immer. Zwischendurch hörten wir das merkwürdige Gurren des Nationalvogels Tocororo, sahen aber sonst keine Spur seines blau-weiß-roten Gefieders. Unsere ortskundigen Freunde hielten unterwegs an, damit wir die weiße Nationalblume Mariposa riechen und bewundern konnten, von der es heißt, dass Frauen sie während des Unabhängigkeitskrieges im Haar trugen, um ihren kriegsgefangenen Vätern, Brüdern und Söhnen heimlich Nachrichten zu zuspielen. Das große Thema der Gegend von Trinidad ist die Trockenheit. Auch das erinnerte uns an Kerala. Klimaveränderung macht nicht an nationalen Grenzen halt. Die Berge hier sind bräunlich. Dieses Frühjahr mangelte es an Regen. Weil es so trocken ist, produziert die Tageshitze kein Kondensat, das sich am Nachmittag oder gegen Abend ausregnen könnte. Die Flüsse und Seen haben Niedrigwasser. In Trinidad gibt es rationierte Wasserverteilung. Den Leuten mangelt es bereits an Seife. Wenn ihnen nun auch das Wasser ausgeht, langt es auch nicht mehr für den Tourismus.
Der zweite Spaziergang führte uns an den Wasserfall von Las Vegas, den auch unser Ortsfreund noch nicht gesehen hatte. Abstieg und Wiederaufstieg hatten es in sich, aber es lohnte sich. Das Wasser teilt sich trotz des ungewöhnlich geringen Volumens in zwei elegante Linien und stürzt mittig in ein tiefes Becken. Die Szene hätte kein Gartengestalter besser anlegen können. Wir schwammen im kühlen Teich, erkundeten die kleine Höhle hinter dem Wasserfall und beobachteten Eidechsen auf der Balz.
Im Auto warteten platanos, frutas de mamay und warmes Bier. Wir hielten am Ausschank einer Kaffeeplantage. Das Unternehmen blüht. Die äußerst netten Leute verkaufen ihren sorgsam handverlesenen Arabica Kaffee für teures Geld als „cristal de la montaña“ ausschließlich nach Japan. Überhaupt werde der kubanische Kaffee exportiert. Was einem in Kuba gewöhnlich serviert werde, sei billiger Import aus Brasilien. Wir kosteten vom örtlichen Produkt. Nicht schlecht.
Das war gestern. Heute war Miriam krank. Schlimmer als ich vor zwei Tagen. So radelte ich allein zum Hotel Ancon um für morgen eine Tauchstunde zu reservieren. Hätte man doch auch telefonisch machen können, oder? Nein, durchaus nicht. Wir hatten dort mehrfach direkt und zuletzt heute Morgen über die Hotelvermittlung angerufen, aber niemand hatte sich gemeldet. Daher der Entschluss, die Sache selbst in Augenschein zu nehmen und, wenn möglich, eine Einführungsstunde für uns zu buchen. Ich fand schließlich auch das Tauchzentrum von Ancon, von dessen Existenz wir bereits bei der Vorbereitung unserer Reise aus dem Internet wussten. Tauchen lernen war auf unserer gemeinsamen Wunschliste für Kuba. Zunächst musste ich an den Parkwächtern vorbei, die zum Personal der Coco-Bar gehörte, die ihren Stand direkt neben den Tauchlehrern hatte. Ich könne mein Fahrrad nicht auf den (leeren) Strand mitnehmen, sondern solle es am Eingang festschließen. Kein Problem. Das koste außerdem einen CUC. Wieso, sagte ich und kramte irritiert in meiner Hose. Ich hatte nur einen halben CUC. Nein, das sei nicht genug. Und wie wenn ich das Fahrrad etwas weiter hinten abstellte? Nein, das koste alles einen CUC. Wissen Sie was, sagte ich dann irritiert, ich gehe jetzt in das Tauchzentrum, dort brauche ich genau fünf Minuten, und ich werde nicht einen CUC für nichts ausgeben. Dann ließ ich die Dame und den Herrn stehen, die mich weitäugig ansahen, mich aber nicht aufhielten.
Aus dem Tauchzentrum, einer Hütte mit Schreibtisch und einer ausführlichen Preisliste im Hintergrund, kam laute Musik. Vom Strand kam ein Mann um die vierzig, sportlich, offenbar Tauchlehrer. Sein Name war Igor. Ich verstand jetzt, weshalb niemand ans Telefon gegangen war. Nein, sagte Igor. Das habe nichts mit der Musik zu tun. Sie hätten nämlich gar kein Telefon. Möglicherweise klingelte es im Segelzentrum gegenüber, zu dem sie gehörten, aber da sei niemand. Die Tauchstunde konnte ich problemlos und ohne Vorauszahlung reservieren. Mal sehen wie wir uns morgen fühlen.
Als ich fünf Minuten später mein Fahrrad wieder losmachte, stand die Frau immer noch dort. Sie fragte mich, ob ich aus Trinidad gekommen sei. Nein, aus La Boca, meinte ich und wünschte ihr einen guten Tag.
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trunnion ball valve posted on August 26, 2022 at 2:19 am
Trinidad in Santo Spiritus | Michael Zank1661494753